„Ich könnte das ja nicht!“

02.02.2024 CJD Erfurt « zur Übersicht

Jung trifft Alt in der CJD Tagesstruktur für Seniorinnen und Senioren


„Ich könnte das ja nicht!“ Diesen Satz hören viele junge Menschen, die sich für einen sozialen Beruf mit älteren Menschen entschieden haben. Henrike ist 24, Praktikantin der Öffentlichkeitsarbeit und hat weder mit Pflege noch mit der Arbeit mit Senioren etwas am Hut. Und genau deshalb ist sie die perfekte Besetzung für einen Schnuppertag in der CJD Tagesstruktur für Seniorinnen und Senioren. Ihr Auftrag: Raus aus der Komfortzone und rein in den Arbeitsalltag mit Senioren im CJD, um einen spannenden Text mit vielen eigenen Gedanken und Sichtweisen über die wertvolle Arbeit unserer Kolleginnen vor Ort zu schreiben. 

Ob der Tag Henrike gefallen hat oder sie den Satz „Ich könnte das ja nicht!“ ab sofort auch unterschreibt, erzählt sie uns in ihrer Reportage.

Ich betrete erwartungsvoll den Vorraum der CJD Tagesstruktur für Senioren vom CJD Erfurt. Gleich nebenan mache ich im Büro der Öffentlichkeitsarbeit ein Praktikum. Heute darf ich mal in die Tagesstruktur „reinschnuppern“, um mich mit dem spannenden Thema „Jung trifft Alt“ auseinanderzusetzen.

Ich gebe zu, ich habe Respekt. Was wird mich wohl heute hier erwarten? Ich habe einmal vor Jahren einen Praktikumstag in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungserfahrungen gemacht und es war nicht so meins. Schade, wie ich finde. Wie wird es wohl heute werden? Und wie werden die Senioren auf mich reagieren?

Ich betrete die großzügigen Räumlichkeiten und sofort begrüßt mich meine „neue Kollegin“ freundlich lächelnd. Es ist noch früh am Morgen, aber es gibt gleich etwas für mich zu tun. Die Senioren kommen bald und heute wird Geburtstag gefeiert, deshalb gibt es einiges vorzubereiten. Ich belege fleißig Brötchen, während neben mir Kaffee gekocht und die Tische eingedeckt werden.

Und plötzlich geht alles ganz schnell – die ersten Senioren sind da und die Brötchen müssen erstmal warten. Gemeinsam begrüßen wir die Gruppe und einigen wird beim Ausziehen geholfen. Ich laufe einfach mit und beobachte. Und dann – die erste, zuerst seltsame Situation: Eine blinde Frau und ich bleiben alleine im Eingangsbereich der Tagesstruktur stehen. Es herrscht peinliche Stille. Unbehagen macht sich in mir breit. Wie kann ich denn nun ein Gespräch anfangen? Wie komme ich in Kontakt? Soll ich helfen und wenn ja, wie? In meinem Gehirn rattert es.  Aber schnell wird mir klar – viel muss ich gar nicht sagen. Angelika, so heißt die blinde Dame, erzählt von ganz allein.

Freudig berichtet sie, dass sie gerne feiert und dann soll ich auf einmal ihre Hand nehmen. Für mich eine neue, kleine Herausforderung, aber ich freue mich über ihre Offenheit und nehme die Hand dankend an.

Mit der Zeit merke ich, dass die Senioren von ganz allein warm mit mir werden und ich staune, denn selbst aktiv werden, wird in der Gruppe großgeschrieben. Und so packen einige mit an, das Geburtstagsfrühstück vorzubereiten. Meine „neue Kollegin“ erzählt mir gleich, dass die Mithilfe auch Ziel der Tagesstruktur ist, damit die Ressourcen der Besucher so weit wie möglich erhalten bleiben und gefördert werden. Die Senioren haben jeden Tag einen festen und vor allem sinnstiftenden Tagesablauf und dürfen sich auf regelmäßige Events, wie gemeinsames Lesen, Filmtage oder musikalische Unterhaltung, freuen.

Nach einem kurzen Tischgebet zeigt mir Michael stolz seine Meisterwerke – gestrickte Decken und Kissen und seinen größten Schatz, ein Modell-Boot, an dem er geduldig in feinster Kleinarbeit fast täglich baut. Auch andere Senioren zeigen mir, was sie mit ihren Händen alles erschaffen können. Ich bin ganz schön beschäftigt, denn die älteren Herrschaften sind auf Zack. Im Handumdrehen spiele ich eine Runde „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Rummikub“ mit. Und aus einer Runde werden schnell ein paar mehr.

Zwischendurch komme ich mit der Kollegin aus der Tagesstruktur immer wieder ins Gespräch. Sie schwärmt von ihrem Job und langsam verstehe ich, warum ihr die Arbeit gefällt. Trotzdem interessiert mich auch, warum gerade so ein junger Mensch gerne mit Älteren arbeitet. Gerade Außerstehende, die nicht in diesem Bereich arbeiten, sagen oft: „Also, ich könnte das nicht!“ Doch die CJD-Kollegin kann darüber nur staunen, denn ihr Job ist sehr abwechslungsreich und die Menschen geben ihr viel zurück, zum Beispiel ein Lächeln. Das finde ich besonders schön und ich kann ihre Aussage absolut nachvollziehen.

Zum Mittagessen gibt es selbstgekochte Kürbissuppe. Sie schmeckt wunderbar und ich werde wieder schnell in die Gespräche mit einbezogen. Die Senioren haben viele Fragen: Wohin ich denn dieses Jahr in den Urlaub fahre, wann ich Geburtstag habe und ob ich den Winter mag. Ich fühle mich sehr wohl und freue mich, dass die Gruppe auch an mir Interesse zeigt.

Nach dem Mittagessen ist Entspannung angesagt, oder es wird weiter gebastelt, gelesen oder gemacht worauf jeder Einzelne Lust hat. Am Nachmittag kommt der Fahrdienst und die Senioren werden nach und nach abgeholt. Ich werde noch gefragt, ob ich am nächsten Tag wiederkomme und muss freudig schmunzeln. Ich merke, auch die Senioren haben sich schnell an mich gewöhnt. Der Aufenthaltsraum bleibt leer zurück. Ein bisschen traurig stimmt es mich schon, dass mein Arbeitstag schon vorbei ist.

Als sich die Tür hinter mir schließt, lasse ich den Tag nochmal Revue passieren und ich stelle fest: Es hat mir Spaß gemacht, auch wenn ich zu Beginn skeptisch war. Meine anfänglichen Berührungsängste wurden mir schnell durch die herzliche und offene Art der Senioren genommen. Den Satz: „Also, ich könnte das ja nicht, mit alten Menschen arbeiten“, kann ich nicht mehr verstehen. Aber umso mehr verstehe ich die Kollegin und die Liebe zu ihrem Job, denn wer erhält nicht gern jeden Tag ein Lächeln.

Text: Henrike von Roschinsky